Stell dir eine Welt ohne Farben vor

Farbe von Laufbekleidung

Über die bunte Welt des Laufsports: Laufbekleidung ist heutzutage bunt – und auffällig. Geht es um „Sehen und gesehen werden“, um Lifestyle, Spaß oder mangelnde Alternativen?

 

IMAGINE A WORLD WITHOUT COLORS | STELL DIR EINE WELT OHNE FARBEN VOR

Schwarz/Weiß-Enthusiasten klatschen bei dieser Vorstellung begeistert in die Hände. Sie, und die Macher der aktuellen Herbst/Winter-Kollektion. Gerade durfte ich an einer ausgedehnten Herbst-Shoppingtour teilnehmen – nicht ganz freiwillig. Einen Halbmarathon zu laufen finde ich weniger anstrengend als den stundenlangen Pilgerweg durch die Geschäfte. Doch auch das Gesicht meiner Begleiterin wurde lang und länger. Farben waren fast vollständig aus den aktuellen Kollektionen verschwunden. Schwarz und grau dominierten den trostlosen Gesamteindruck zwischen hier und dem Horizont.

Schon der Sommer zeigte sich weniger farbenfroh als die Jahre davor, zumindest kam mir das so vor. Im Gegenzug wurde über die letzten Jahre hinweg die Laufbekleidung bunter, wilder und greller. Mittlerweile ist es gar nicht mehr so einfach, ein Laufshirt, ein Laufcape oder gar Laufschuhe in neutraler Farbe zu bekommen. Vor fast zehn Jahren waren viele meiner Laufschuhe noch weiß, aufgehübscht mit einigen Farbtupfern in einheitlicher Farbgebung. Nichts allzu auffälliges, keine Neonfarben, die sich anschickten, die Welt aus den Angeln zu heben. Vor fünf Jahre waren meine Laufschuhe größtenteils ebenfalls noch weiß – mein Blick auf den Nimbus 8 und Nimbus 12 bestätigt mir, dass ich mich richtig erinnere - da gibt es kein Vertun. Der Nimbus 17 hingegen scheint geradezu auf der Stelle zu hüpfen, so sehr fordert er Aufmerksamkeit. Ist das nun gut oder schlecht? Vermutlich weder das eine, noch das andere. Ob die neue, bunte Welt der Laufbekleidung auf Gefallen oder Ablehnung stößt, ist einfach eine Frage des persönlichen Geschmacks. Weitaus wichtiger als die Optik ist für Läufer letztendlich die Passform, die Dämpfung, das Material und das Lauf-Feeling der Schuhe. Wer sich nur vom falschen Schein blenden lässt, gibt viel Geld für wenig Laufvergnügen aus.

Auch die Zivilisten haben die bunten Laufschuhe für sich entdeckt. Verkomplizieren wir uns das Leben nicht unnötig mit der Suche nach einer korrekten Beschreibung dieser Gattung, sondern einigen wir uns kurzerhand darauf, unter „Zivilisten“ all jene Zeitgenossen zusammenzufassen, die außerhalb der sportlichen Aktivität Sportbekleidung tragen. Laufschuhe zum Beispiel. Bunte Laufschuhe in diesem Fall. Oft von Nike, genauer gesagt der ultimativ angesagte Nike Free. Der eigentlich kein Laufschuh ist, sondern ein Lifestyle-Produkt. Ursprünglich dafür entwickelt, Läufern ein Gefühl des „Natural Runnings“ zu bieten, indem er zwar leicht ist, aber so gut wie keine Stützung bietet. Wer versucht hat, ohne eine entsprechende Eingewöhnungsphase von jetzt auf gleich mit diesem Schuh zehn (oder mehr) Kilometer zu joggen, dürfte sein blaues Wunder erlebt und das Ziehen in den Sehnen und Muskeln wohl so schnell nicht wieder vergessen haben. Läufer sieht man mit diesem Schuh extrem selten laufen. Die Herzen der Zivilisten hingegen hat er im Sturm erobert – nicht nur wegen seiner schicken Form und dem geringen Gewicht, sondern weil er oft mit tollen Farben daherkommt und im Trend liegt. Wobei auch beim Nike Free zunehmend diverse dezente Farbgebungen erhältlich sind.
Die entscheidende Frage aber ist: was haben solche Schuhe, was andere nicht haben? In einer Welt mit immer weniger Farben, in der es zunehmend schwieriger wird, Sommer- oder gar Herbst-/Winterbekleidung mit einem frischen und doch ansprechenden Farbton zu finden, kann ein solcher Schuh ein klares Ausrufezeichen setzen. Frei nach dem Motto, dass, wenn schon formschöne und gut passende Bekleidung nur in unbunten Farben erhältlich ist, sich wenigstens mit den Laufschuhen frische, farbliche Akzente setzen lassen.

Apropos „passende Bekleidung“… die muss aktuell auch im wörtlichen Sinne passen. Bei den Hosen möglichst hauteng. Bei unserer Shoppingtour war es mir unmöglich, eine etwas weitere, gut sitzende Jeans zu finden. Wenn etwas angesagt ist, dann führen alle Läden das gleiche. Für diese Egalisierung, diese Einschränkung auf eine extrem begrenzte Auswahl, gibt es übrigens einen Fachbegriff: er nennt sich Mode.
Nun bin ich ein ganz passabler Läufer. Hingegen bin ich ganz bestimmt kein ausgewiesener Mode-Guru. Mein Wort hat wenig Gewicht, wenn ich definiere, dass Mode oft nicht das ist, was man tragen will, sondern das, was man tragen soll oder tragen muss. Wer hautenge Jeans trägt, sollte möglichst auch die Figur dafür haben – sonst wird die Sache nicht nur unschön, sondern schnell sehr unvorteilhaft. Während bei Frauen mit entsprechender Figur diese hautengen Sächelchen durchaus gut aussehen können (vor allem wenn sie von farbenfrohen Laufschuhen umrandet werden), funktioniert das bei Männern einfach nicht. Die Jungs können eine fantastische Läuferfigur haben und in der richtigen Bekleidung die komplette Palette zwischen moralischer Entrüstung und einem Sturm der Begeisterung abdecken. In hautengen Jeans die obendrein noch ein gutes Stück oberhalb der Fußknöchel enden, sieht auch der coolste Typ aus wie Rumpelstilzchen. Übertroffen wohl nur noch von der Sorte Kerle, die ihr Gesäß durch geschicktes Stoff-Arrangement so umfassend egalisieren, dass sie – optisch betrachtet – keinen Hintern mehr haben.

Alle, die sich an dieser Stelle einen Expertenartikel zu einem revolutionären Laufthema erhofft haben und nun enttäuscht sind, bitte ich um Entschuldigung. Für alle anderen hoffe ich, dass sie Spaß hatten bei der leicht philosophischen Betrachtung des Zusammenhangs zwischen Laufsport und Farben. Ob wirklich jeder von uns den Trend zu immer farbenfroherer Laufbekleidung gutheißt, steht in den Sternen – wer möchte, kann auf unserer Facebook-Seite seine Meinung dazu sagen. Fakt ist, dass wir nur aus einem vorhandenen Angebot auswählen können – was die Hersteller nicht anbieten, können wir auch nicht kaufen. Wie heißt es nicht so schön im dialektischen Materialismus?: Das Sein bestimmt das Bewusstsein.  ;-)

Imagine a world without colors…

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