Vorbereitungs-Wettkampf zum Bremer Halbmarathon am 20.05.

10-km-Wettlauf innerhalb des Trainingsplans

Es ist der 16.04. und für mich ist heute ein ganz besonderer Tag, denn mein erster Wettbewerb steht an. Nach anfänglichen Verletzungspausen habe ich es nun doch durchgehalten; freilich leide ich bei diesem Wettbewerb trotzdem an Pseudo-Schmerzen. Ich werde sie am Besten nicht beachten. Am Vegesacker Citylauf in Bremen nehmen ca. 150 Läuferinnen und Läufer teil, die die 10.000 Meter bewältigen wollen.

Olafs Kolumne - Läuferleben

Chronologie eines Wettkampftages

08:00 Uhr
Ich brauche nur aufstehen, der Frühstückstisch ist schon fertig gedeckt. Das kommt nur zwei Mal im Jahr vor. Ein guter Start in diesen besonderen Tag.

10:00 Uhr
Wir sitzen noch am Frühstückstisch und ich lese den „Countdown“ von Peter Greif. Ich lese die restlichen 35 Seiten in einem Zug durch und bedaure die ungenutzten Chancen. Na, wenigstens habe ich mein Brötchen mit Honig gegessen.

11:00 Uhr
Ich muss noch bügeln. Mein Bein tut den ganzen Tag weh und es wird immer schlimmer. Ich werde beim Warmlaufen sehen, ob ich überhaupt starten kann. Vermutlich ist es keine so gute Idee, hier zu stehen und zu bügeln.

12:30 Uhr
Welches Badeöl nehme ich nun? Pure Energie oder lieber Perfect Balance? Oder doch ein ganz anderes??? Das Baden tut nicht gut. Die Gesichtsmaske auch nicht. Ich bin wahrscheinlich einfach zu nervös, außerdem muss ich gleich essen, sonst bin ich bis 17:15 Uhr nicht fit.

(Tipp: Am Tag vor einem Wettkampf und ganz besonders am Wettkampftag sollte man im Vorfeld zum Lauf nicht baden, da die Muskeln dadurch einen Teil ihrer Spannkraft verlieren. Anmerkung der Redaktion von RUNNING LIFE).

13:30 Uhr
Alles aufgegessen; ich ruhe mich aus, lese noch einmal die letzten Seiten von Greif, die mich irgendwie motivieren. Manche Ratschläge klingen gut, ich überlege, sie umzusetzen. Aber besser keine Experimente am Wettkampftag!

15:00 Uhr
Wir müssen los! Mein Freund Stephan wird mich begleiten und anfeuern. Aber der ist immer so ruhig und vor allem immer so langsam!

15:35 Uhr
Wo ist bloß die Anmeldung? Ich laufe immer wieder ein paar Schritte vor, dann warte ich auf Stephan, lauf ihm wieder entgegen, wieder weg... ich fühle mich Jahrzehnte jünger, fast wieder wie ein Kind.

16:15 Uhr
Endlich habe ich alles beisammen. Wir sind im Startbereich. Mein Bein tut immer mehr weh.

16:30 Uhr
Ich laufe ganz langsam die 2,5-Kilometerrunde ab:
Erst geht es 30 Höhenmeter rapide bergab, teilweise über Kopfsteinpflaster und um die Kurve (Verletzungsgefahr!). Dann wird die Weserpromenade entlanggelaufen. Hier wird meine Erholungsphase liegen.
Ich sehe ein Schild: 1 Kilometer. Das ist toll zur Kontrolle! Kurz darauf geht es steil aufwärts (das bin ich in keiner Weise gewohnt!). Hier wird es schwer werden.
Wenn man dann denkt, man hat es geschafft, merkt man, man hat sich zu früh gefreut. Es geht um die Kurve in die Geschäftsstraße... Dort geht es weiterhin aufwärts, wenn auch nur verhalten. Irgendwann fällt die Strecke dann endlich wieder leicht ab und bald darauf (nach einer Rechts-Links-Kombination) folgt der Zielbereich.

Diese Runde müssen die Läufer also vier Mal laufen, bevor sie in den abgetrennten schmalen Zielbereich einlaufen dürfen.
Erfreut stelle ich nach der Aufwärmrunde fest, dass es meinem Bein besser geht!

17:00 Uhr
Das Bein tut wieder weh. Ich bin zu früh losgelaufen und stehe jetzt in der Kälte herum. Mir wird kalt, aber meine lange Hose will ich auch nicht wieder anziehen. Ich versuche, mich an den Profis zu orientieren. Aber was machen die? Sie stehen bloß rum.

17:10 Uhr
Die Profis laufen sich nochmals warm. Ich beschließe, es ihnen gleich zu tun. Mein Bein tut nun bis zur Hüfte hoch weh.

17:15 Uhr
Durchsage:
Der Start verzögert sich um einige Minuten. Man solle sich aber schon einmal aufstellen.
Meine gesamte linke Seite tut jetzt weh. Es wird ein Fiasko!
Ich stelle mich im Bereich der Läufer auf, die den Wettkampf in einer Stunde schaffen wollen – also sehr weit hinten. Hier fühle ich mich gut aufgehoben, denn schließlich bin ich schon vor dem Start fix und fertig. Ich versuche, ganz ruhig zu werden. Wozu habe ich schließlich diese ganzen mentalen Übungen gemacht, welche meine Laufbücher mir empfehlen?
Vermutlich kann man nicht wie ein Gewinner aussehen, wenn man ganz hinten steht. Aber ich versuche, die Ruhe selbst zu bleiben.

17:xx Uhr
Start!
Start?
Langsam bewegt sich die Menge vorwärts. Ich schaue mich um und finde heraus warum: Alle schauen auf den Boden, sehen die Startlinie, starten ihre Stoppuhr, laufen los. Ich auch. Es ist eng. Bloß nicht gegen eine der Laternen laufen!

1. Runde
Langsam bergab laufen, bloß nicht auf den Vordermann auflaufen. Immer schön Abstand halten. Es geht rapide bergab, das Läuferfeld ist eng und nimmt ungeheure Geschwindigkeit auf. Ich lande auf der Promenade und ordne mich hinter zwei Frauen ein. Nur nicht zu schnell starten. Ich beschließe, die erste Runde hinter den beiden Frauen zu bleiben. Die beiden unterhalten sich sogar noch.
Meine Herzfrequenz (HF) beträgt 168. Wir passieren das 1-Kilometer-Schild: 5 Minuten! Das ist schneller als geplant und trotzdem fühle ich mich so gut. Ich könnte Bäume ausreißen!
Jetzt den Berg (darf man diesen Teilabschnitt so nennen?) rauf. Dann geht es in die Einkaufstrasse. Einer nach dem anderen überholt mich und ich entscheide mich, doch an den beiden Damen vorbeizuziehen. Dabei überhole ich jetzt auch drei junge Leute und höre, wie einer sagt: „Kommt, den holen wir uns!
Aber jetzt geht es wieder bergab und ich brauche nur einen kleinen Kick um diese drei nie wieder zu sehen.

Erste Runde = 13 Minuten!

2. Runde
13 Minuten sind zu schnell, denke ich mir. Das hältst du nicht durch!
Ich überhole beim Bergablauf einen alten Mann.
Ups, das war ein Fehler!“, denke ich und höre schon seine gleichmäßigen Trippelschritte hinter mir. Bald darauf überholt er mich. Mir wird klar, dass er vor Erfahrung nur so strotzt und sein Ding souverän durchzieht. Also setze ich mich hinter ihn und versuche, mich von ihm ziehen zu lassen, denn dieser Mann wird nicht nervös, der nicht.
Er lässt es zu, dass ich ihn ein wenig ausnutze. Vielleicht bemerkt er mich auch einfach nicht. Wieder kommt der Berg und ich spüre die Kraft in meinen Beinen, die raus will. Aber besser nicht. Besser, ich spare mir die Kraft noch auf.
Der alte Mann vergrößert den Abstand und ich schaffe es nicht, an ihm dran zu bleiben. Nur nicht nervös werden. Ich muss mein eigenes Rennen laufen, nicht seins. Der Start-/Zielbereich kommt und ich schmeiße meine Mütze vor Stephans Füße.

Zweite Runde = 13 Minuten

3. Runde
Beim bergab laufen lasse ich die Arme immer hängen. Den Tipp habe ich von einer Freundin. Das tut gut. Auf der Promenade sehe ich „meinen“ alten Mann wieder. Dazwischen sind aber schon zwei andere. Wieder ein neuer Vorläufer, an den ich mich ranhänge. Jetzt kommt die deprimierendste Runde.

Seit Ende der zweiten Runde und während der dritten Runde werde ich öfter von den 32-Minuten-Läufern überholt. Die lassen einen mal eben so stehen, obwohl sie bereits in der vierten Runde sind. Ich vergesse bei der 1-Kilometer-Marke erneut, nach der Zwischenzeit zu schauen. Jetzt geht es den Berg rauf. Noch nicht alles geben. Ich muss noch Kraft für die vierte Runde haben, nicht vergessen! Ist das schwer! Ich überhole in der Einkaufsstrasse ein paar Läufer. Das wird mir das Genick brechen. Ich befürchte, ich werde keine vierte Runde durchhalten, da werde ich dann abschmieren. Bald kommt die Promenade, dann kann ich wieder Kraft tanken.

Dritte Runde = 13 Minuten

4. Runde
Wie schaffst du das nur?
Drei Mal 13 Minuten. Du bist echt gut
“, mache ich mir Mut.
Aber jetzt werde ich wohl langsamer werden.
Meine Zeit kann ich wohl nicht halten, aber dennoch mag ich nicht überholt werden! Immer schön dran bleiben an meinem Vorläufer. Aber der &%$$§= (ich werde hier keines meiner Dreitausend neu erfundenen Schimpfwörter niederschreiben!) vergrößert den Abstand. Am Berg werde ich ihn einholen. Hoffe ich. Der ist zu dick für den Berg.
Der Berg kommt. Der Kerl läuft hoch und hoch und hoch. Ich schaffe es nicht dran zu bleiben. Der Abstand wird noch größer. Meine HF liegt bei 190!
Hände in die Hüften, so läuft es sich besser hoch. Ich muss aufgeben. An der Bergkuppe sehe ich die Zuschauerin, die uns schon die vorigen drei Runden angefeuert hat. Sie klatscht! Jaaa! Ich umarme dich! Ich küsse dich! Ich liebe dich! Du bist die Heldin des Turniers! (Ich glaube nicht, dass sie in meinem verzerrten, blutleeren Gesicht das Lächeln erkennen konnte.)

Wieder, zum letzten Mal, die Einkaufspassage und wieder überholt mich jemand. Immer noch geht es aufwärts. Ich laufe irgendwie weiter so gut ich kann. Ich will niemanden mehr überholen, ich will nur noch ankommen.
Dagegen werde ich in diesem Moment selbst wieder von einer Frau überholt, als wir das leichte Gefälle erreichen. So geht das nicht! Jetzt gebe ich Gas! Was mache ich da? Das ist zu schnell! Ich lasse die gute Frau ja praktisch stehen.
Ist mir eigentlich klar, wie weit es noch bis zum Ziel ist? Ich denke nicht mehr, laufe nur noch. Der nächste Läufer ist überholt, bevor er begreift, wie ihm geschieht. Das gefällt ihm gar nicht. Ich merke noch, wie er jetzt auch Gas gibt. Viel zu lahm, viel zu spät. Hahaha! Jetzt der Dicke da vorne. Meine Atmung ist nicht mehr da.

Wieder bin ich mir sicher, dass ich nicht durchhalten werde. Die letzten Beiden, die ich überholt habe, sind mir auf den Fersen. Ich sterbe, ich sterbe. Ich stelle mir die Fratze vor, die mein Gesicht verunstaltet, wenn ich erst einmal - mich windend - am Boden liege. Aber da! Das Ziel kommt in Sichtweite. Da ist das Ziel und ich bin gerade dabei zu sterben. Jetzt sofort. Wo ist die Atmung? Wo ist Stephan? Mein Verfolger will mich überholen, aber ich laufe irgendwie weiter, er fällt leicht zurück, ich bleibe vor ihm. Die Ziellinie. Ich überquere sie! Aber ich kann nicht stehen bleiben, obwohl ich doch gerade dabei bin zu sterben. Ich senke den Kopf, sehe meine Nummer, die 744. Vielleicht das letzte, was ich in diesem Leben sehe.Ich habe es geschafft. Aber so fühle ich mich gerade nicht. Ich muss mich hinlegen. Nein, besser nicht. Wichtiger ist jetzt die Atmung. Zu wenig Luft, ich muss mich beruhigen. Es gelingt. Glück erscheint an Stelle von Erschöpfung. Reines, pures Glück. Ich gehe im Kreis. Stephan kommt. Ist das ein tolles Gefühl. Tränen, Lachen, Glück. Wie muss das erst bei einem Marathon sein? Plötzlich merke ich, dass mein Bein wieder weh tut. Das hatte ich ganz vergessen.

Vierte Runde = 13 Minuten

Fazit
Mich freut natürlich die Gesamtzeit. Aber viel besser finde ich die Tatsache, dass ich wirklich vier Runden mit 13 Minuten gelaufen bin! Wahnsinn! Im Übrigen bin ich zehnter meiner Altersklasse geworden. Aber das ist für mich nebensächlich. Und dann wäre da noch meine maximale Herzfrequenz. Wenn ich meiner Uhr trauen darf, betrug sie 203!Ist das realistisch?

Als nächster Wettkampf kommt jetzt am 20.05. der Halbmarathon!

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