Verbessern Kompressionsstrümpfe die Leistung beim Joggen?

Lauftraining: Kompressionsstrümpfe beim Laufen wirken hauptsächlich auf die Wadenmuskulatur. Durch den Druck wird der Blutfluss verbessert. Glaubt man den Werbeversprechen der Hersteller, so steigern Kompressionsstrümpfe die Laufleistung.

Meine Oma trägt sie.
Ich gebe – wenn auch ungern – zu, dass auch ich mich schon einmal auf einem Langstreckenflug in medizinische Kompressionsstrümpfe gezwängt habe. Meine Überraschung war dementsprechend groß, als ich vor vielen Jahren das erste Mal sah, dass Kompressionstrümpfe bei Leistungssportlern und Hobbyläufern zum Einsatz kommen. In knalligen Farben hatten sie mit den oben genannten Modellen nicht mehr viel gemein. Bringen sie aber wirklich einen Nutzen gegenüber herkömmlichen Laufsocken?
Klassischerweise werden Kompressionstextilien bei Venenschwäche und Thrombosegefahr eingesetzt. Läufer leiden jedoch durch das regelmäßige Ausdauertraining, welches die Durchblutung nachhaltig anregt, viel seltener an Venenleiden.

Wir haben bei passionierten Läufern nachgefragt, welche Vorteile sie im Einsatz von Kompressionsstrümpfen sehen. Manch ambitionierter Läufer hält sie für überflüssig, andere hingegen konnten einen positiven Effekt auf ihr Lauftraining und ihre Leistung feststellen.
Aber beruht diese positive Wirkung nicht vielleicht lediglich auf den vielversprechenden Werbebotschaftern der Hersteller und einem Placeboeffekt, der sich durch den merklichen Druck an der Wade einstellt? Was ergeben wissenschaftliche Untersuchungen und zu welchem Ergebnis kommt die Zeitschrift Ökotest bei ihrem Test vom März 2015? 

Kompressionsstrümpfe - Joggen

Wirkung und Trageempfehlungen für Kompressionsstrümpfe

Medizinische Kompressionstrümpfe werden vom Arzt bei Venenleiden und Bindegewebsschwäche zur Vorbeugung von Thrombose verschrieben. Der Kompressionsgrad richtet sich dabei nach der Schwere der Beschwerden. Die Strümpfe werden individuell angepasst und gefertigt.
Sport-Kompressionstrümpfe, die im Handel angeboten werden, sind nicht individuell angepasst und üben einen geringeren Druck aus, als ihre medizinischen Äquivalente. Es geht hier auch nicht in erster Linie darum, der Thrombose vorzubeugen, sondern um eine Verbesserung der Durchblutung.
Der Druck, der auf die Wade ausgeübt wird, entlastet das Bindegewebe und die Muskulatur. Der Blutsfluss wird dadurch verbessert und das sauerstoffarme Blut kann schneller zum Herz zurückgepumpt werden.

Hersteller empfehlen das Tragen von Kompressionsstrümpfen während des Lauftrainings und in der nachfolgenden Regenrationsphase. Auch bei Langstreckenflügen oder langen Autofahrten können sie getragen werden. Einige Hersteller haben sogar spezielle Kompressionstrümpfe, die vor und nach dem Laufen zur Erholung getragen werden sollen.   
Für das Anziehen der Strümpfe sollte man ein wenig Zeit einplanen. Insbesondere beim ersten Mal kannst du hier schon vor dem Training ins Schwitzen geraten.
Der Anschaffungspreis von Lauf-Kompressionsstrümpfen liegt im Bereich von 20 bis 50 Euro. Wenn nun noch verschiedene Modelle für die Vorbereitung/Regenerationszeit und das Training selber verwendet werden, kommt kostenmäßig einiges zusammen. 

Werbeversprechen der Hersteller von Kompressionsstrümpfen

Für eine verbesserte Leistungsfähigkeit, verlangsamte Ermüdung und eine schnellere Muskelregeneration sorgt der schnellere Abtransport von Stoffwechselresten, wie beispielsweise Laktat aus der Muskulatur. All das verspricht der Einsatz von Kompressionsstrümpfen. Zusätzlich sollen sie durch zusätzliche Stütze für Gelenke und Muskulatur das Verletzungsrisiko beim Laufen verringern. Aktive Muskelregeneration, schnelleres Warm-UP,… so lauten zumindest die Werbeversprechen der Hersteller.
Ein Hersteller erklärt auf seiner Webseite den Zugewinn der Energie beim Lauftraining sehr ausführlich. Durch das Tragen von Kompressionsstrümpfen verbessern sich Blutzirkulation und Nährstoffversorgung in einer solchen Weise, dass das Herz-Kreislauf-System entlastet und die Pulsfrequenz gesenkt wird. Auf diesem Wege wird Energie eingespart, die dann bei Wettkampf und Training zur Verfügung steht. Vielversprechend klingt das. Aber ist da auch was dran?

Wirkungsweise von Kompressionsstrümpfen beim Laufen laut wissenschaftlichen Untersuchungen

Einige Studien belegen einen Nutzen beim Einsatz von Kompressionsstrümpfen beim Laufen. Dieser ist aber gering und die Studien kommen zu keinem eindeutigen Ergebnis. Daher rudern eine Reihe von Herstellern bei ihren allzu blumigen Werbeversprechen inzwischen wieder zurück.

Studie des Hohenstein Instituts 2012 zur Wirkung von Kompressionsstrümpfen
Das Hohenstein Institut führte im Jahr 2012 eine Studie in Zusammenarbeit mit dem bekannten Hersteller von Kompressionsstrümpfen CEP durch und belegte eine schnellere Erholung der Muskulatur.

Ziel der Untersuchung war es herauszufinden, ob und in welchem Ausmaß die sportliche Leistung gesteigert und die Regeneration der Muskulatur beschleunigt werden könne. Der Test wurde mit 10 Triathleten durchgeführt, die in zwei Gruppen aufgeteilt wurden. Einer Gruppe wurden Kompressionsstrümpfe an den individuellen Wadenumfang angepasst. Durch die individuelle Anpassung lässt sich eine optimalere Druckverteilung, als bei handelsüblichen Sport-Kompressionstrümpfen erzielen. Die andere Gruppe bekam herkömmliche Baumwollsocken. Beide Gruppen vollführten einen 5 km Lauf und anschließend verschiedene Sprungübungen. Eine Woche später wurden die Gruppen vertauscht und der Test erneut durchgeführt. Blutproben wurden jeweils vor und nach dem Test entnommen.   

Es ließ sich keine signifikante Veränderung der Laufleistung oder der Sprunghöhe feststellen. Das subjektive Empfinden vieler Läufer war aber durchaus positiv. Die Blutuntersuchung ergab einen Hinweis auf eine schnellere Muskelerholung bei den Trägern der Kompressionsstrümpfe. Die Wissenschaftler machen dass an dem Biomarker Myokin fest, den sie im Blut vieler Läufer dieser Gruppe gefunden haben. Der Botenstoff wird insbesondere bei Ausdauersportarten ausgeschüttet, hat eine entzündungshemmende Wirkung und stimuliert die Bildung von Muskelgewebe.

An dieser Stelle sei Kritik an der Studie erlaubt:

  • Es handelt sich hier nicht um eine unabhängige Studie, da sie in Kooperation mit einem bekannten Hersteller von Kompressionsstrümpfen durchgeführt wurde.
  • Zudem werden handelsübliche Laufstrümpfe mit Kompression nicht individuell angepasst, wie in der Studie geschehen. Deswegen sind die Ergebnisse der Studie gegebenenfalls nicht eins zu eins auf den Laufalltag übertragbar.
  • Darüber hinaus werden leider keine tieferen Einblicke in die Ergebnisse der Studie gewährt und so bleibt unklar, ob die Blutuntersuchung der Teilnehmer in normalen Socken überhaupt keine Myokine aufwiesen und/oder wie hoch die Unterschiede waren.

Ökotest 2015: 12 Kompressionsstrümpfe für Läufer im Test

Die Zeitschrift Ökotest veröffentlichte im März 2015 einen Testbericht über Kompressionsstrümpfe für Läufer. Es wurden zwölf Modelle getestet. Dabei ging es vorrangig darum, ob sie dem Läufer im Vergleich zu herkömmlichen Laufsocken einen Vorteil bieten. Die Testmuster wurden auch auf Schadstoffe untersucht.

Den Ergebnissen zur Folge ist das Werbeversprechen der Leistungssteigerung, welches viele Hersteller anführen, nicht belegbar. Ökotest kritisiert die Studien, auf welche sich die Hersteller beziehen, da diese nicht repräsentativ seien. Es wurde teilweise nicht mit Kompressionsstrümpfen, sondern anderen Kleidungsstücken mit Kompressionswirkung getestet und auch die Bewegungsabläufe waren andere. So berufen sich einige Hersteller auf eine Studie, in der mit Kompressionshosen Sprünge aus dem Stand vollführt worden sind. Die Studie stellte lediglich einen geringen Effekt bezüglich der Reduktion der Muskelvibration fest und die Bewegungsabläufe haben nicht primäre etwas mit Laufen zu tun.

In einigen Modellen wurden Schadstoffe gefunden. Gerade bei Textilien, die direkt auf der Haut getragen werden, gilt dies als problematisch. Es wurden phosphororganische und halogenorganische Verbindungen gefunden. Sie können Allergien auslösen und sind außerdem schädlich für die Umwelt. Viele Hersteller werben mit antimikrobiellen Textilien. Sie sollen unangenehme Gerüche fern halten. Hierfür werden Kupferfasern oder Silber eingesetzt. Auch diese Materialien stehen, insbesondere bei körpernah getragenen Textilien, in der Kritik.    

Ökotest kommt zu dem Ergebnis, dass die Werbeversprechen deutlich überzogen sind und ein Nutzen nicht belegt ist. Schaden tun Kompressionsstrümpfe jedoch auch nicht.

Nutzen von Kompressionsstrümpfen beim Laufen

Auch wenn Kompressionstrümpfe keine Wunderwaffe sind und der Nutzen nicht wissenschaftlich belegt ist, gibt es einen Aspekt, der nicht außer Acht gelassen werden sollte: das Laufgefühl. Viele Läufer berichten von einem positiven Tragegefühl. Der gezielte Druck an der Wade tut ihnen gut. Einen wärmenden Effekt haben die Wadenhohen Strümpfe in jedem Fall. Dies ist im Frühjahr, Herbst und Winter sicherlich ein interessanter Aspekt. Einige Läufer berichten sogar, dass sie sich nach dem Lauf erholter fühlen. Ob es sich dabei lediglich um einen Placebo-Effekt handelt, sei dahingestellt.

Die wissenschaftlichen Studien und der Test der Zeitschrift Ökotest können keinen signifikanten Nutzen belegen, aber sie können auch keinen Schaden feststellen. Es gibt viele Modelle, die frei von Schadstoffen sind und aus denen sollte der ambitionierte Läufer wählen, wenn er gerne mit Kompressionsstrümpfen läuft.

Wirklich günstig ist das Wohlgefühl beim Laufen bei einem Anschaffungspreis von ca. 20 bis 50 Euro nicht,. Vor allem, da meist mehrere Paare Kompressionsstrümpfe angeschafft werden, um auch dann eins griffbereit zu haben, wenn die anderen in der Wäsche sind.

Wenn dir das Laufen in Kompressionsstrümpfen gut tut, dann spricht nichts gegen ihren Einsatz. Aber eine „Wunderwaffe“ sind Kompressionsstrümpfe nicht. Es ist und bleibt letztlich doch nur ein Laufaccessoire. Erfolge beim Laufen und die Steigerung der Leistung sind in erster Linie konsequentem Training und nicht der Ausrüstung zu verdanken.     

Artikel: GvM

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