Ganz anders Joggen
Mein aktuelles Problem lässt sich ganz einfach zusammenfassen:
„Ich bin nicht anders, sondern gleich.“
Damit hebe ich mich deutlich von der Masse derjenigen ab, die ganz anders sind. Das Jahr 2014 scheint das Jahr der Individualisten zu werden. Mehr noch als sonst. So weiß Mazda in seiner Werbung mitzuteilen, dass das angepriesene Kraftfahrzeug „leidenschaftlich anders“ sei. Mag sein. Ich stellte trotzdem fest, dass es eine handelsübliche Farbe, eine Karosserie und – überraschender Weise – vier Räder hatte.
Die Bundeswehr musste sich ebenfalls etwas einfallen lassen, um sich für den Nachwuchs aufregender zu präsentieren. Die Botschaft lautet: „Aktiv. Attraktiv. Anders.“ Ich grübelte über diese Andersartigkeit nach. Geht es um die Andersartigkeit gegenüber anderen Berufsständen? Ist das Selbstverständnis anders als das anderer Bundeswehren? Oder begründet sich die Andersartigkeit dadurch, dass die Bundeswehr nicht dafür gedacht ist, an Kampfeinsätzen teilzunehmen?
Ganz anders Laufen!
Einige Anbieter von Laufequipment hingegen waren schon sehr früh zu Hause in dieser plötzlich modernen Zeit des „ganz anders“. Und zwar schon vor Jahren. Beispielsweise manche Anbieter von Laufschuhen.
Zunächst war das Angebot für Läufer lange Zeit recht überschaubar. Es gab gute und weniger gute Laufschuhe.
Doch plötzlich war nicht mehr vom Joggen die Rede, auch nicht von Dauerlauf oder Laufen. Nein, Natural Running musste es sein. Dahinter verbirgt sich der brennende Wunsch des modernitätsgeplagten Menschen von heute, zurück zu seinen Wurzeln zu joggen und dabei ganz natürlich zu laufen. Ein schöner Gedanke. Allerdings benötigt er dafür spezielle Laufschuhe, die nicht zur Kategorie der preiswerteren Modelle gehören.
Auf den ersten Blick war es damals gar nicht so einfach, die Natürlichkeit in dieser Konstellation zu erkennen. Aufklärungsarbeit verdeutlichte uns Läufern jedoch bald, dass unsere Füße in normalen Laufschuhen zu viel Stützung und Stoßdämpfung erfahren. Die neuen Laufschuhe des Natural Running hingegen versprechen ihnen eine größere Freiheit: weniger versklavende Dämpfung und mehr freies Spiel. Schade nur, dass zu oft versäumt wurde, auf die Nebenwirkungen hinzuweisen. Denn wer so viel Freiheit nicht gewohnt ist, bekommt schnell Schmerzen - beispielsweise in der Achillessehne oder in den Knien.
Er läuft aber – und das ist entscheidend – ganz anders als die anderen Läufer. Auch heute noch. Der forschende Blick auf die Füße entgegenkommender Läufer verrät, dass sich die ganz Anderen weiterhin in der Minderheit befinden.
Noch radikaler präsentiert sich der Trend des Barfußlaufens. Am Barfußlaufen lässt sich allerdings nichts verdienen. Daher benötigt der Barfußläufer auch in diesem Fall spezielle Schuhe. Sie sehen so ähnlich aus wie Handschuhe für die Füße. Ein echter Hingucker – und auf jeden Fall ganz anders. Allerdings auch ganz anders als echtes Barfußlaufen.
Wenn ich nun aber weder die einen noch die anderen Laufschuhe tragen möchte, reduzieren sich meine Möglichkeiten zur Andersartigkeit rasant. Mit einem neonfarbenen Lauf-Shirt lässt sich heutzutage nur schwer Eindruck schinden.
Statt zu Laufen, könnte ich versuchen zu fliegen. Nur lässt sich das (erstens) nicht mit dem Regelwerk der Laufveranstalter vereinbaren und würde beim nächsten Marathon unweigerlich zur Disqualifikation führen. Und (zweitens) ich würde dann ja weder Joggen noch Laufen. Ein echtes Dilemma.
Es gibt Gründe, lieber gleich als anders zu sein.
Mal abgesehen davon: die Andersartigen brauchen die immer Gleichen. Und wie! Denn irgendetwas muss ja gleich bleiben, damit der Rest ganz anders sein kann.