Zu hoher Puls bei Laufanfängern

Eine der häufigsten Fragen im Forum von RUNNING LIFE dreht sich um den Trainingspuls bei Laufanfängern. Viele Einsteiger sind zutiefst verunsichert, weil ihre Pulsuhr selbst bei ganz langsamen Joggen bereits Pulswerte von 160 Schlägen pro Minute und mehr anzeigt. Sie befürchten dadurch in den anaeroben Bereich zu geraten.

Polar Pulsgurt

Nach den gängigen Tabellen für die Belastungszonen wird zwischen

  • langsamen Dauerlauf mit weniger als 70% der maximalen Herzfrequenz (maxHF),
  • normalem Dauerlauf (70–80% der maxHF),
  • aeroben Tempodauerlauf (80–90% der maxHF) und dem
  • anaeroben Trainingsbereich mit mehr als 90% der maxHF unterschieden.

Anfänger schließen aus ihren hohen Pulswerten, dass sie einen zu hohen Puls haben und somit bestenfalls schnell gehen dürften, statt zu joggen oder zu laufen.
Zusätzlichen Auftrieb erhält diese Befürchtung durch entsprechende Warnungen in vielen Laufsportportalen aber auch Laufmagazinen.

Richtig ist: wer jahrelang keinen Sport getrieben oder Übergewicht hat, der findet nicht selten leichter und besser den Einstieg in den Laufsport, wenn er sich zunächst auf schnelles Gehen bzw. Walking beschränkt.

Und – ja - tatsächlich fällt vielen Menschen der Einstieg zunächst schwer. Wer sich von Beginn ab quält, weil er unbedingt gleich 20 Minuten oder eine halbe Stunde am Stück joggen will, der wird auf diesem Wege voraussichtlich einen sehr geringen „Spaßfaktor“ erleben. Nicht selten beschränkt sich der Einstieg dann auf einige wenige Läufe, bevor wieder aufgegeben wird. Natürlich kann jemand, der jahrelang inaktiv war und keinen Sport getrieben hat, nicht erwarten, dass er von heute auf morgen fit wird. Die Zähne müssen wohl die meisten ein wenig zusammenbeißen. Das bedeutet aber nicht, sich dabei über die Gebühr quälen zu müssen.

 

Die richtige Trainingsstrategie für Laufanfänger

Daher besteht für Laufeinsteiger eine sinnvolle Strategie darin, zu Beginn zwischen Geh- und Laufintervallen zu wechseln. So kann man beispielsweise zunächst 3 Minuten lang flott gehen, dann 2 Minuten lang langsam joggen, anschließend wieder ein 3-Minuten-Gehintervall einlegen usw. In der Summe reicht es zu Beginn, wenn auf diesem Wege ca. 20 Minuten Training zusammenkommen und wenn dafür zu Beginn lieber 3x in der Woche nach diesem Schema trainiert wird, als dass man nur 1-2 Mal läuft und dafür jeweils gleich 30 Minuten.
Je nach persönlichem Befinden kann in der zweiten oder dritten Woche dann eine Steigerung erfolgen. Jetzt werden zu Beginn nur 2 Minuten flott gegangen, dann 3 Minuten langsam gejoggt, gefolgt von einem weitere 2-Minuten-Gehintervall usw.

Wer sich bei diesem Einsteigertraining unter- oder überfordert fühlt, kann die Geh- und Laufintervalle ganz nach seinem individuellen Bedürfnis anpassen. Wichtig dabei ist, sich im Zweifelsfall lieber unter- als überfordert zu fühlen.

 

Die Pulswerte sind dennoch zu hoch?

Die soeben vorgestellte Trainingsstrategie für Einsteiger bietet den Vorteil, dass – insbesondere während der Gehintervalle – der Puls niedriger gehalten wird. Trotzdem befürchten Anfänger häufig, dass er „einfach zu hoch ist“. Natürlich hat ein Anfänger einen deutlich höheren Trainingspuls als ein fortgeschrittener Läufer dessen Herz-Kreislaufsystem die Belastung gewohnt ist und der in aller Regel auch einen deutlich niedrigeren Ruhepuls hat.
Es gibt aber zwei Gründe, sich über seinen – wirklich oder vermeintlich – zu hohen Puls keine allzu großen Sorgen zu machen, sofern man sich beim Laufen nicht überfordert fühlt:

Wann ist der Trainingspuls überhaupt „zu hoch“?

Nehmen wir an, der Puls beträgt 165 Schläge/Minute. Subjektiv betrachtet klingt das nach einem sehr hohen Pulswert. Wie hoch aber ist die Maximale Herzfrequenz (maxHF)? Bevor wir die maxHF nicht kennen, besitzt dieser Pulswert rein gar keinen Aussagegehalt. Das Problem dabei ist, dass Anfänger ihre maxHF oft gar nicht kennen und irgendwo einmal gelesen haben, man solle beim Sport keine Pulswerte von mehr als 130 Schlägen pro Minute haben, weil dies andernfalls aus diesen oder jenen Gründen schlecht wäre. Nun liegt der gemessene Pulswert aber deutlich über dieser Herzfrequenz (HF) von 130. Schlussfolgerung: „Also mache ich etwas falsch!“.

Es gibt verschiedene Möglichkeiten, die maxHF zu ermitteln. Teilweise erledigen das moderne Pulsuhren automatisch (mit einer mehr oder weniger guten Genauigkeit). Die sicherste Methode ist, die maxHF entweder durch einen entsprechend harten Trainingslauf herauszufinden – eine Methode, die für Anfänger nicht immer empfehlenswert ist. Oder aber über eine etwas aufwendigere Laktatwertmessung – eine Möglichkeit, die Anfängern oft überambitioniert erscheint.

Wer seine maxHF ermitteln möchte, kann folgendermaßen vorgehen:

  1. Zunächst läuft man sich ca. 5-10 Minuten lang bei geringem Lauftempo warm
  2. Nun wird das Tempo stark erhöht und für weitere ca. 5-10 Minuten versucht, ein maximales Lauftempo zu erreichen und zu halten.
  3. Abgeschlossen wird das Ganze mit einem Schluss-Sprint

Der Pulswert, der nach dem Schluss-Sprint gemessen wird, ist die maxHF. Dazu kann der Wert der Pulsuhr dienen oder der Puls wird manuell für 15 Sekunden gezählt und das Ergebnis mit 4 multipliziert. Natürlich lassen sich stattdessen die Pulsschläge auch 1 Minute lang zählen. Allerdings sinkt – ganz besonders bei trainierten Läufern – der Puls innerhalb der ersten Minute, so dass eine Zählung der Pulsschläge über die ersten 15 Sekunden ein genaueres (höheres) Ergebnis liefert.

Nachdem nun die maximale Herzfrequenz bekannt ist, kann daraus sehr leicht berechnet werden, in welchen Bereich bei einem Lauf trainiert wird. Nehmen wir an, die maxHF lag bei 205 Schlägen pro Minute. Basierend auf obigem Beispiel eines gemessenen Pulses von 165 Schlägen pro Minute stellen wir eine kleine Berechnung auf.

Ein normaler Dauerlauf sollte bei 70-80% der maximalen Herzfrequenz absolviert werden. Wir berechnen:
205 Schläge/Minute x 0.8 = 164 Schläge/Minute.

Jemand, dessen maxHF 205 beträgt und der im Training mit 165 Schlägen/Minute läuft, befindet sich also durchaus gerade noch so im Bereich des normalen Dauerlaufs. Er sollte gegebenenfalls einen Hauch langsamer laufen.
Bei jemandem, dessen maxHF hingegen nur 185 Schläge/Minute beträgt, berechnen wir:
185 Schläge/Minute x 0.8 = 148 Schläge/Minute

Eine Läuferin oder ein Läufer mit einer maxHF von 185 Schlägen/Minute würde bei einem Trainingspuls von 165 bereits an der Grenze zum anaeroben Trainingsbereich unterwegs sein. Denn dieser beginnt bei 90% der maximalen Herzfrequenz wodurch sich berechnet (maxHF multipliziert mit Faktor 0.9):
185  x 0.9 = 166

Fazit
Ob ein Trainingspuls von 165 Schlägen pro Minute nun also zu hoch ist oder noch vollkommen in Ordnung, hängt letztendlich von der individuellen maxHF des Läufers ab. Die Maximale Herzfrequenz ist kein „Gütesiegel“ in dem Sinne, dass ein möglichst hoher oder niedriger Wert besser oder schlechter wäre, sondern einfach eine individueller Wert, der sich von Läufer zu Läufer unterscheidet.

Zu den bisherigen Überlegungen kommt jedoch noch ein ganz anderer Aspekt hinzu:

Aussagegehalt des Trainingspulses bei Anfängern

Manche Experten und auch manch erfahrener Läufer raten dazu, von Beginn an mit Pulsuhr und Pulsgurt zu trainieren, um jederzeit genau und akribisch seine Belastung einschätzen zu können. Denn schließlich verfügen Anfänger noch über keine Erfahrungswerte und sind – so die Argumentation – andernfalls vollkommen hilflos. Auch die Anbieter von Pulsuhren sind selbstverständlich dieser Meinung. Schließlich lässt sich heutzutage alles genau messen, warum also darauf verzichten?

Es gibt jedoch auch noch eine andere Meinung: der Trainingspuls bei Anfängern hat schlicht und einfach noch keinen ausreichenden Aussagegehalt. Nur weil alles gemessen und eingeordnet werden kann bedeutet dies nicht automatisch auch, dass es gemessen und eingeordnet werden muss. Zuvor wurde in diesem Artikel die Möglichkeit vorgestellt, den Laufeinstieg Mittels Geh- und Laufintervallen zu schaffen und sich auf diesem Wege nach und nach zu steigern, ohne sich dabei zu überfordern. Hier wurde auch erwähnt, man solle sich bei der individuellen Ausgestaltung der Länge und Frequenz der Geh-/Laufintervallen an seinem Gefühl orientieren. Gefühle sind natürlich auf frappierende Art und Weise unwissenschaftlich. Aber ganz egal, was die Pulsuhr behauptet: selbst wenn deren Werte sich noch im grünen Bereich befinden, man sich aber bei dem Lauf aber nicht gut fühlt, dann helfen einem auch genau messbare und verbindliche Werte nichts. Umgekehrt gilt: wenn die Pulsuhr (vermeintlich) zu hohe Werte anzeigt, man sich aber prima fühlt, wem sollte man dann mehr Vertrauen schenken?

Persönlich habe ich die Erfahrung gemacht, dass Anfänger meist deutlich besser damit fahren, wenn sie zumindest die ersten Monate bis hin zum ersten halben Jahr die Pulswerte gar nicht erst ermitteln und einfach auf ihr Gefühl hören. Der Einwand, dass ihnen die Erfahrung fehlen würde, um ihr Tempo richtig einzuschätzen, klingt logisch. Aber bei genauerer Betrachtung ist er nicht wirklich stichhaltig. Man muss kein erfahrener Läufer oder gar Profi sein, um selbst zu spüren, ob man während des Laufs „aus dem letzten Loch pfeift“ oder noch in der Lage wäre, mit seinem Mitläufer locker zu plaudern. Auch in Zeiten modernster Technik und genauester Messmethoden ist es nicht von vornherein falsch, auf sich selbst zu vertrauen und auf sein Gefühl zu hören.

 

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