Berglauf in Marokko
01.02.2006 Agadir – Berglauf
„Gott Vaterland“ steht (auf Arabisch) auf den Berg geschrieben, der den Nordwestrand von Agadir begrenzt. Warum laufen Läufer auf Berge? Weil sie da sind.
In diesem Sinne stellte ich mich heute zum zweiten Mal der Herausforderung, nachdem der erste Versuch zwar befriedigend, mit 17:01 Minuten jedoch noch nicht optimal war. 17:01 Minuten... – warum nicht 16:59?
Von meiner Unterkunft bis zum Berg waren es 3.5 km. Vom Fuß des Berges bis zur Spitze, auf der sich die nach einem Erdbeben in den 60-er Jahren wieder aufgebauten Ruinen der Kasbah-Festung befinden, laut Tachometeranzeige eines über 20 Jahre alten Mercedes-Taxis rund 3,1 km. Auf die Genauigkeit der Tachoanzeige würde ich persönlich zwar keinen Cent verwetten, aber Salim – mehr dazu später – erteilte dieselbe Auskunft.
Wie auch immer...
Fast 300 Meter, so hatte man mich wissen lassen, ragte der Berg vor mir auf. Das macht bei 3,1 km Laufstrecke durchschnittlich also rund 10% Steigung. Während ich vor dem Stoppschild am Fuß des Berges an meiner Stoppuhr herumfummelte, bemerkte ich eine Bewegung aus dem Augenwinkel. Ein zweiter Blick enthüllte mir einen laufenden Marokkaner der soeben den Berg in Angriff genommen hatte und mich mit interessiertem Blick über die Schulter betrachtete. Eigentlich gierte ich bei meinem zweiten Versuch nicht unbedingt nach Zeugen - vor allem nicht nach solchen, die bei 1.70 Metern Größe und höchsten 60 Kilogramm verflixt SCHNELL aussahen. Andererseits...
Wir stellten uns kurz vor, bevor wir bis zum Gipfel nur noch sehr wenige Worte wechselten. Nur das Allernötigste. Aufzupassen, weil gleich ein Auto durch die Kurve der unübersichtlichen Serpentinen kommen würde, die Empfehlung, wegen des schiefen Untergrunds die Straßenseite zu wechseln etc. Für meinen Geschmack sah Salim zu frisch aus und ich selbst war zu sehr außer Atem. Aber wer will denn meckern? Letztendlich habe ich es ihm zu verdanken, dass wir nach 16:06 Minuten über die Ziellinie flitzten (in letzter Sekunde schaffte ich es, nicht triumphierend die Arme hochzureißen). 55 Sekunden Steigerung gegenüber dem vorigen Versuch. Das ist doch ein Wort! Vor allem, wenn man berücksichtigt, dass ich normalerweise fast ausschließlich auf flacher Strecke laufe und ganz bestimmt kein ausgewiesener Bergläufer bin.
Einige Kamele - die als Reittiere für Touristen zur Kasbah-Festung verfrachtet worden waren - glotzten uns verwirrt an, der Wächter an der Schranke, der mich schon 2 Tage zuvor bei meinem ersten Versuch kennen gelernt hatte, erkundigte sich höflich, ob ich nicht bald mal genug davon hätte Berge hoch zu rennen, Touristen schüttelten bedauernd den Kopf, ob solchen Fanatismus und die Taxifahrer versuchten, uns die Rückfahrt mit ihrer Karosse schmackhaft zu machen.
Salim war eigentlich 800 Meter Läufer, wie er mir nun erzählte. Die langen Läufe dienten ihm zur Verbesserung seiner Grundlagenausdauer – an der es meiner Ansicht nach nichts zu bekritteln gab. Seine Bestzeit am Berg lag nochmals mehr als eine Minute unter dem, was wir gerade hinter uns gebracht hatten und seine Laufschuhe waren – wenig verwunderlich bei der großen Armut in Marokkanischem Lande – in einem Zustand, der sich kaum beschreiben lässt. Jeder von uns hätte diese Laufschuhe schon seit Ewigkeiten aussortiert. Sie sahen aus, als hätten sie zwischen 3.000 und 4.000 Km auf dem Buckel (genauer möchte ich mich nicht festlegen). Die einseitige Abnutzung (supinationsbedingt) war beim besten Willen nicht übersehbar. Aber was für ein Läufer, was für ein Talent!
Wir liefen zurück. Gefälle über 4% sind Gift für die Beine. Wissen wir. Ließ sich aber leider nicht ändern. Dann gings weiter bis ins Herz von Agadir, bevor wir uns in der Nähe des McDonalds – denn der Fortschritt macht auch hier nicht halt - Lebewohl sagten.
Nachtrag:
Drei Tage später startete ich meinen dritten und letzten Versuch, in der Hoffnung, trotz der herrschenden 25°C den Berg unterhalb der 16-Minuten-Grenze zu bezwingen. Klappte auch.
In 15:56 min. Zu meiner Verblüffung erkannte mich der Parkplatzwächter trotz meines sicherlich unguten Aussehens. Besagter Parkplatzwächter ist ein alter Mann mit sehr dunklem, wettergegerbten Gesicht, und wenig Zähnen, dessen Mimik sich bei meinem Anblick in einen Ausdruck der Müdigkeit verwandelte:
„Du schon wieder...“, begrüßte sie mich.
Und ja, richtig, ich schon wieder. Zum letzten Mal auf dieser Strecke, denn der Urlaub neigte sich allmählich dem Ende zu. Ich versuchte ihm dies mit Händen und Füßen klarzumachen, da mein Arabisch sich auf vereinzelte, von Einsamkeit geplagte Wörter beschränkt. Letztendlich schien es mir gelungen zu sein, mich halbwegs verständlich zu machen. Oder nickte er nur aus Höflichkeit?
Es wird sicherlich nicht lange dauern, bis mein Nachfolger auftaucht.